Veranstaltung: | 44. Bundesmitgliederversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | 10.2. Dringlichkeitsanträge |
Antragsteller*in: | Lene Greve (CG Uni Hamburg) |
Status: | Verschoben |
Eingereicht: | 01.12.2021, 07:49 |
D1: Befreiung der Menschen, nicht Entfesselung der Märkte: Mercosur-EU-Deal stoppen!
Antragstext
Wir, die Bundesmitgliederversammlung von Campusgrün, begrüßen das bisherige
Scheitern des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens. Das Freihandelsabkommen würde
die Bedrohung unserer gemeinsamen natürlichen Lebensgrundlagen verschärfen sowie
die weitere Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen durch zunehmenden
Konkurrenzdruck im Interesse gesteigerter Profite – insbesondere für deutsche
Automobilkonzerne und brasilianische Großgrundbesitzer – vorantreiben. Für eine
positive Wendung der aktuellen ökologischen, sozialen und gesundheitlichen
Krisen rufen wir die Grünen in Bundestag und EU-Parlament auf:
- Dem EU-Mercosur-Freihandelsabkommen weiterhin nicht zuzustimmen – auch
dann nicht, wenn es durch zusätzliche Umweltschutz- und Arbeitsrechts-
Versprechungen reingewaschen werden soll.
- Anstelle einer EU-Einmischungspolitik die positive Entwicklung
insbesondere der bestehenden übergreifenden Bündnisse im karibisch-
lateinamerikanischen Raum zu befördern – unter anderem durch ein
verstärktes Eintreten zur Beendigung der völkerrechtswidrigen US-
Sanktionen gegen Kuba.
- Die gemeinsamen Herausforderungen auf Augenhöhe anzugehen und dafür die
Intensivierung von kulturellem Austausch auf zivilgesellschaftlicher Ebene
zu unterstützen; insbesondere gilt dies für die Förderung von Studien-
Austauschprogrammen, die dazu beitragen können, den globalen Horizont auch
innerhalb deutscher Hochschulen zu stärken.
Begründung
„Man springt auf den fahrenden Zug auf und diskutiert nicht die Bedingungen der verschiedenen Wirtschaften, weder im Vorfeld noch in der Gegenwart. Man nivelliert die abgestuften Ebenen der verschiedenen Wirtschaften, ohne die Unterschiede zu bedenken, die die „Rechte“ der Starken und ihre Macht, sich ihrer zu bedienen, und die Schwachheit der Armen bei der Durchsetzung ihrer Rechte trennen. […] Einer der wirksamsten Mechanismen ihrer fatalistischen Ideologie besteht darin, die Betroffenen der unterworfenen Volkswirtschaften davon zu überzeugen, dass man an der Situation nichts ändern könne, dass einem nichts anderes übrig bliebe, als den Dingen ihren natürlichen Lauf zu lassen. […] Eine Globalisierungsdebatte, die von Ethik spricht, verschweigt allerdings, dass sie dabei die Ethik des Marktes meint und nicht die universale Ethik des Menschen, für die wir verstärkt kämpfen müssen, wenn wir uns für eine menschliche Welt entscheiden wollen. Die Debatte über die Globalisierung verbirgt die Schärfe – oder versucht zumindest diese zu verschleiern -, mit welcher die Bösartigkeit in drastischer Weise neu aufgelegt wird, mit der der Kapitalismus in der Geschichte erscheint. Der ideologische Diskurs über die Globalisierung möchte die Tatsache verschleiern, dass sie den Reichtum einiger weniger festigt und die Armut und das Elend von Millionen von Menschen erklärt. […] Ich ziehe es vor, als Idealist und eingefleischter Träumer kritisiert zu werden, der ohne zurückzuschlagen weiter auf den Menschen setzt anstatt auf eine Gesetzgebung, die die aggressiven und ungerechten Übergriffe derjenigen verteidigt, die die eigene Ethik verletzen. Die Freiheit des Handels darf nicht über der Freiheit der Menschen stehen.“ (Paulo Freire, brasilianischer Befreiungspädagoge und Entwickler eines weltweit erfolgreichen Alphabetisierungsprogrammes, 1996 in „Pädagogik der Autonomie“)
Das Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) liegt unterzeichnet und unratifiziert in der Schublade. Die Ratifizierung des Abkommens wurde 2020 zunächst mit dem Rückenwind öffentlicher Proteste der internationalen Klimabewegung und von europäischen Bauernverbänden im EU-Parlament gestoppt.
Im Koalitionsvertrag der kommenden Bundesregierung ist – in ethisch sauberer Verkleidung – nun eine rot-grüne Verneigung vor dem Marktliberalismus der FDP festgehalten, die auch den EU-Mercosur-Deal meint: „Wir wollen den regelbasierten Freihandel auf Grundlage von fairen sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Standards stärken“. Diese Formulierung unterstellt, das Prinzip der Nachhaltigkeit sei nicht bereits unvereinbar mit der Zuspitzung globaler Konkurrenz, an deren wirtschaftlich durchsetzungsstarker Spitze die größten Unternehmen in den industrialisierten Ländern stehen.
Letztere üben weiter Druck für die Umsetzung des Freihandelsabkommens aus. Lobbyverbände wie der European Round Table of Industrialists, die auf die Erschließung neuer Absatzmärkte – auch für hierzulande verbotene Pestizide und unbeliebte Verbrennermotoren – spekulieren, forcieren das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen.[1] In ihrem Interesse waren das deutsche Bundeswirtschaftsministerium[2] und die EU-Kommission unter der Führung von CDU-Politikerin Ursula von der Leyen sogar bereit, mit dem faschistischen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro als wichtigstem Partner auf der Mercosur-Seite den Deal abzuschließen. Diese seinerseits wird innenpolitisch maßgeblich durch landwirtschaftliche Großunternehmer gestützt, die ebenfalls auf zusätzliche Exporte durch den Freihandel (auf Kosten des Regenwaldes und der Arbeitnehmer:innenrechte) spekulieren.
Nach dem Scheitern dieser Dreistigkeit an der engagierten Zivilbevölkerung versucht die EU-Kommission aktuell, das Freihandelsabkommen mittels Greenwashing noch durch den Gesetzgebungsprozess im EU-Parlament zu hieven. Eine von der Beratungsagentur der London School of Economics herausgegebene Studie sollte dabei helfen, Verbänden wie Greenpeace und den Aktiven von Fridays for Future Sand in die Augen zu streuen – und unterschlägt dafür die absehbare zunehmende Entwaldung sowie zusätzliche CO2-Emissionen aus dem Transportdienstleistungssektor in der Folgenabschätzung.[3]
Sollte das EU-Mercosur-Freihandelsabkommens in Kraft treten, sehen mehrere aktuelle Studien neben der zunehmenden Umweltzerstörung das ab, was Paulo Freire in seiner Kritik der Globalisierung von oben anmahnt: Den Reichtum einiger weniger auf Kosten der Armut von Millionen. Die weitere Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen beträfe dabei nicht nur den Mercosur-Raum, sondern auch die ökonomisch durchsetzungsstärkeren Wirtschaften der EU. Eine Analyse der Boston University verbindet für Deutschland mit dem Abkommen eine weitere Zuspitzung der sozialen Ungleichheit und warnt, das Freihandelsabkommen könne nicht genug Wachstum erzeugen, um damit die unnachhaltige Grundstruktur der deutschen Wirtschaft auszugleichen – dies könne nur durch mehr Investitionen oder eine andere Lohnpolitik gelingen.[4]
Auf Seite der Mercosur-Staaten ist gleichzeitig im Zuge der progressiven Wende in Lateinamerika die althergebrachte Abhängigkeit von der „Entwicklungshilfe“ des Westens nicht mehr ausgemacht. Dies gilt umso mehr, wenn nach der erwarteten Abwahl Bolsonaros im kommenden Herbst eine vertiefte Entwicklungskooperation innerhalb der lateinamerikanischen und karibischen Staaten gelingt, die ein alternatives Entwicklungsmodell zur (neben dem internationalen Währungsfonds) auch ideologisch hergestellten Abhängigkeit von EU-Staaten ermöglicht.[5]
Die Souveränität der Bevölkerung gegenüber den auf schnelle Profite orientierten Konzernen zu stärken, ist in der EU wie im Mercosur-Raum unsere gemeinsame Aufgabe. Die Freiheit des Handels darf dabei nicht über der Freiheit der Menschen stehen, in internationaler Kooperation für sozial gerechte Lebensbedingungen einzutreten.
Unterstützer*innen
- Svenja Horn (CG Uni Hamburg)