Veranstaltung: | 44. Bundesmitgliederversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | 10.2. Dringlichkeitsanträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Christina Markfort |
Eingereicht: | 05.12.2021, 12:24 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Der Bundesverband Campusgrün - grün-alternativer Hochschulgruppen kritisiert den Koaltionsvertrag zwischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP.
Beschlusstext
Als Bundesverband grün-alternativer Hochschulgruppen können wir es nicht
unkommentiert billigen, wenn der gemeinsame Koalitionsvertrag von Bündnis 90/DIE
GRÜNEN, SPD und FDP das Relativieren des 1,5°-Ziels [0], Exzellenzuniversitäten,
Rückführungsoffensiven, atomare Teilhabe, Schuldenbremse, HartzIV, eine Absage
an notwendige Umverteilung und absolute Ignoranz in der Mietenfrage beinhaltet.
In großen Teilen erachten wir den Koalitionsvertrag daher als unzureichend, um
den akuten Krisen adäquat zu begegnen. An anderer Stelle zeigt der
Koalitionsvertrag auf, wie schnell Veränderung möglich ist, wenn die Union nicht
an einer Bundesregierung teilhaben wird.
Entgegen der in der Öffentlichkeitsarbeit von Bündnis 90/DIE GRÜNEN sowie der
veröffentlichten Meinung herrschenden Deutung der Wahlergebnisse (bzw.
insbesondere des zwischenzeitlichen grünen Umfragehochs) wissen wir: Die
Zustimmung zu den GRÜNEN hat wenig mit den politischen Schaukämpfen der
Parteieliten zu tun, sondern ist der in den letzten Jahren starken
Ökologiebewegung (v.a. FFF und den Waldbesetzungskämpfen) zu verdanken. Und
auch, wenn die GRÜNEN schon längst keine Partei mehr mit Verwurzelung in den
sozialen Bewegungen sind, wäre es absolut notwendig gewesen, diesen
gesellschaftlichen Druck parlamentarisch abzusichern. Einer stärkeren
Priorisierung der ökologischen Frage standen auch die möglichen
Spitzenkandidat*innen im Weg: Eine Außenpolitikerin und ein liberaler Philosoph
sind leider keine besonders authentischen Protagonist*innen in einem
Klimawahlkampf. Ironischerweise hat damit gerade der Kanzler*innenamtswahlkampf
die Möglichkeiten auf das Kanzler*innenamt verbaut. Aber auch im Anschluss wäre
wenigstens noch Schadensbegrenzung möglich gewesen: Die GRÜNEN hätten - anstatt
mit SPD und FDP auf Kuschelkurs zu gehen - frühzeitig klarmachen müssen, dass
eine Koalition, die das 1,5°-Ziel nicht halten kann, ausgeschlossen ist.
Die Zustimmung zu den GRÜNEN ist eng mit der in den letzten Jahren starken
Ökologiebewegung (v.a. FFF und den Waldbesetzungskämpfen) verknüpft. Und auch,
wenn die GRÜNEN schon lange ihre Verwurzelung in den sozialen Bewegungen
vernachlässigt haben, wäre es absolut notwendig gewesen, diesen
gesellschaftlichen Druck parlamentarisch abzusichern. Die GRÜNEN hätten -
anstatt mit SPD und FDP auf Kuschelkurs zu gehen - frühzeitig klarmachen müssen,
dass eine Koalition, die das 1,5°-Ziel nicht halten kann, ausgeschlossen ist.
Diese taktischen Fehler rächen sich jetzt:
Im Koalitionspapier wird ausdrücklich vermieden, der Klimakrise den Kampf
anzusagen. So ist "idealerweise" (also: nicht verpflichtend) ein Kohleausstieg
bis 2030 geplant, gleichzeitig soll die schädliche Erdgasinfrastruktur ausgebaut
werden. Des Weiteren ist kein Ausstieg aus dem Verbrennermotor bis 2030
vorgesehen, kein Ende klimaschädlicher Milliardensubventionen, kein Tempolimit -
und eine angestrebte Klimaneutralität ab 2045 ist viel zu spät. Hinzu kommt,
dass selbst die wenigen Ziele mit dem Festhalten an der Schuldenbremse nicht
verwirklicht werden können. Vor diesem Hintergrund stimmen wir Fridays For
Future zu, wenn sie sagen: »Mit ihren vorgelegten Maßnahmen entscheiden sich die
drei Parteien bewusst für eine weitere Eskalation der Klimakrise« (Spiegel).
Auch in unserem Grundsatzprogramm stellen wir uns gegen jenes "Propagieren einer
sog. green economy" als Stütze der "vorherrschenden kapitalistischen
Verwertungslogik", wie sie die Ampel anstrebt.
Aber auch die vor allem vom "Realo"-Flügel propagierte Logik, dass das
Verhandlungsergebnis insgesamt stimmen müsse und 'rote Linien' dafür schädlich
seien, blamiert sich an der Realität. Dies wollen wir neben der bereits
ausgeführten ökologischen Frage an einigen weiteren Aspekten deutlich machen:
1. Wissenschaft.
Die Regierungskoalition möchte den Wissenschaftsstandort "wettbewerbsfähiger"
machen. Dafür werde sie die "bewährte Exzellenzstrategie" an Hochschulen mit
neuen Clustern weiterführen (während die Grundfinanzierung um nur 0,3 Prozent
steigen soll, was noch nicht mal der Inflationsrate gerecht wird). Auch solle
das "soziale Unternehmertum" an Hochschulen gefördert werden. Diese Maßnahmen
treiben die konkurrenzbehaftete Neoliberalisierung der Hochschulen noch weiter
als bisher voran - und sind somit nicht in Einklang mit unserem
Grundsatzprogramm zu bringen. Dieses sieht "Wissenschaft und Forschung dem
Gemeinwohl verpflichtet" wofür es eine ausreichende "Grundfinanzierung" als
notwendig erachtet. Damit lehnt es "Profitinteressen" sowie
"Wettbewerbsorientierung" im Zusammenhang mit Hochschulen ab.
2. Soziales.
Die Besitzenden können aufatmen: sie werden genauso geringe Steuern wie bisher
zahlen, wodurch das Vermögen der Reichen immer weiterwächst. Währenddessen soll
der Mindestlohn einmalig (um einen Euro mehr als ohnehin schon geplant war)
steigen. Das HartzIV-Konzept, das jetzt den hippen Namen "Bürgergeld" trägt,
enthält einige wichtige Veränderungen, wie bspw. die Anerkennung der
Angemessenheit der Wohnung in den ersten beiden Jahren, die nicht-Anrechnung von
Vermögen, die erleichterten Möglichkeiten von Zuverdiensten, die mindestens
temporäre Aussetzung der Sanktionen. Aber die nötigste Veränderung, die
wesentliche Anpassung der Höhe, bleibt fatalerweise aus. Das Pflegepersonal
bekommt einen einmaligen Zuschuss - "höhere Löhne" sind zwar erwähnt, aber nicht
wann und in welchen Dimensionen. Umverteilung und Enteignung mit dem Ziel einer
freien und solidarischen Gesellschaft, wie wir sie anstreben, sieht anders aus!
3. Internationalismus.
Laut Koalitionsvertrag soll vorrangig eine »Rückführungsoffensive« (sprich:
Abschiebungen) gestartet werden. Außerdem sei "reguläre Migration zu
befürworten". Demnach wird Flucht nicht als "regulär", also als abzulehnen
verortet. Eine offene, internationale "Willkommenskultur" sieht anders aus. Auch
wolle man die Bewaffnung der Bundeswehr mit Drohnen sowie atomwaffenfähigen
Kampffllugzeugen ermöglichen. Der Sicherheitsstaat Deutschland wird ausgebaut
und somit solidarischen internationalen Kooperationen den Kampf angesagt.
Dementgegen vertreten wir den Grundsatz, dass "eine Rückkehr zur Isolation und
Nationalismus [...] lediglich von Problemen ab[lenkt] und [...] diese nur noch
größer werden [lässt]". Stattdessen müsse "allen Menschen [...] die
Mitgestaltung dieser Gesellschaft ermöglich[t]" werden.
An diesen ausgewählten Kritikpunkten wird bereits deutlich, dass vom Vorsatz der
Ampel "das Land besser zu machen" (Scholz) zwar ein Teil der Gesellschaft
Verbesserungen erwarten darf, der Großteil der Gesellschaft national sowie
international aber nur wenig oder nicht profitieren wird. Dabei ist zu betonen,
dass der Koalitionsvertrag auch bedeutende und hart erkämpfte Erfolge
hervorbringt (bspw. Wahlalter ab 16, Cannabis-Legalisierung, Abschaffung des
Transsex.-Gesetz, Abschaffung §219a). Diese progressiven Elemente bedürfen nun
einer raschen Umsetzung, während zeitgleich damit nicht die Defizite des
Vertrages außer Acht gelassen werden dürfen.
Als Campusgrün sehen wir in einigen Punkten des Koalitionsvertrag ein Chance,
vielen Menschen das Leben wenigstens ein Stück weit zu erleichtern. Gleichzeitig
bleibt der Koalitionsvertrag aber in vielen oben genannten Punkten hinter
unseren Erwartungen zurück. Wir stellen uns als Bundesverband nicht gegen die
angestrebten Änderungen, die für viele Menschen lang erhofft waren und erkämpft
wurden. Dennoch können wir der neuen Regierungskoalition keinen
Vertrauensvorschuss gewähren.
Begründung
Begründung s. Antrag/folgt mündlich